• 2021 entscheidet über die Zukunft der Industrie in Deutschland und Europa
  • Automobilindustrie besser als der Standort Deutschland - Deutschland muss beim Green Deal aktiv werden - Europaweites Ladenetz fehlt - Markterholung erst im zweiten Halbjahr

Berlin, 26. Januar 2021

„Das Jahr 2021 wird über die Zukunft der Industrie in Deutschland und Europa entscheiden: Wir stehen an einem Wendepunkt, der die Richtung der folgenden Dekaden vorgibt“, betont Hildegard Müller, Präsidentin des Verbandes der Automobilindustrie (VDA), auf der digital durchgeführten VDA-Jahrespressekonferenz.

„Die gesamte deutsche Automobilindustrie sieht die Corona-Entwicklung weiter mit großer Sorge. Unsere Unternehmen tun alles, um das Infektionsrisiko in den Betrieben, in Produktion und Verwaltung, weiter zu reduzieren. Die Konzepte der Unternehmen sind erfolgreich. In den Produktionsstätten wirken die hohen Sicherheitsstandards der Automobilindustrie.

Wir setzen darauf, dass die Impfstoffproduktion und die Umsetzung der Impfungen jetzt sehr schnell gesteigert werden, damit Deutschland zügig aus dieser Krise herauskommt. Die Bürger, die Beschäftigten und die Unternehmen brauchen rasch eine verlässliche Perspektive.“

Die VDA-Präsidentin unterstreicht: „Wir gehen davon aus, dass das zweite Halbjahr 2021 eine Besserung bringen wird, wenn die Fortschritte beim Impfen so groß sind, dass die Pandemie im Alltag spürbar eingedämmt werden kann.“

Hildegard Müller weist darauf hin, dass die Transformation der Branche trotz Corona intensiv vorangetrieben werde. Bis 2025 investiert die deutsche Automobilindustrie insgesamt 150 Mrd. Euro in Zukunftstechnologien, vor allem Elektromobilität und Digitalisierung.

Kritisch äußert sich die VDA-Präsidenten zu Überlegungen, Klimaziele durch einen fortgesetzten Lockdown oder immer neue Verbote zu erreichen. Hildegard Müller sagt: „Wir können und wollen die Klimaziele doch nicht ausgerechnet dadurch erreichen, dass wir weite Teile des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens abschalten. Die Schließung von Betrieben ist auch aus Klimagründen keine Perspektive für die Menschen, nicht in Deutschland und auch nicht in Europa. Die Antwort auf die Klimasorgen sind nicht immer neue Verbote und schon gar nicht der Verzicht auf Wachstum und Wohlstand, der auch unsere gesellschaftliche Stabilität gefährden würde, sondern die technische Innovation, mit der wir klimaneutrale Mobilität erreichen können. Europa braucht diesen Innovationswettbewerb und eine aktive Industriepolitik, um die Klimaziele zu erreichen und gleichzeitig Wachstum und Beschäftigung zu sichern.“

Hildegard Müller: „Wir arbeiten an solchen neuen Angeboten und Alternativen und bringen sie auf die Straße. Wir machen die neue Mobilität, von der alle reden. Und da haben wir als Branche sehr viel erreicht. Wir sind Europameister bei E-Mobilität. Und bei den Patenten im Bereich E-Mobilität ist die deutsche Automobilindustrie schon weit vorne. Auch in den anderen Feldern sind wir Spitze: bei Forschung und Entwicklung, in den Bereichen Antrieb, Batterie, Hybrid, bei der Digitalisierung, dem autonomen Fahren, bei der Verbesserung des Kolbenmotors und der Senkung von Abgaswerten. Ich sage bewusst Kolbenmotor, denn nicht die Verbrennung ist das Problem, sondern der Kraftstoff und seine Herkunft, deshalb benötigen wir auch E-Fuels. Wir haben das Auto erfunden, und jetzt erfinden wir es neu. Die Unternehmen der Automobilindustrie forschen und entwickeln auf allen Feldern.“

„Durch neue Handelsabkommen wie mit dem Vereinigten Königreich oder das vereinbarte Investitionsabkommen zwischen der EU und China gehen wir richtige Schritte.“ Aber durch die neue chinesische Handelszone im asiatischen Raum und durch die Dominanz US-amerikanischer Plattformindustrien müsse sich Europa im internationalen Wettbewerb besser aufstellen, so Hildegard Müller: „Der Maßstab für alle wirtschaftspolitischen Entscheidungen muss immer der Weltmarkt sein.“

Hier komme gerade der EU-Kommission eine große Verantwortung zu: „Die neuen Handelsregime eröffnen neue Chancen, die wir aber nutzen müssen. Und dazu braucht es gute Rahmenbedingungen für unsere Industrie, die vor allem in Brüssel gesetzt werden“, so Hildegard Müller. Aktuell laufe die Entwicklung allerdings in die falsche Richtung.

Sie verweist auf die neue EU-Mobilitätsstrategie, die bei fast allen Verkehrsträgern sehr stark auf E-Mobilität setze, während derzeit ein europaweites Ladenetz fehle: „75 Prozent der Ladeinfrastruktur in der EU finden wir aktuell in nur drei Staaten - Niederlande, Deutschland, Frankreich - und auch nur für Pkw. Das Lkw-Netz fehlt fast völlig.“

Die EU-Mobilitätsstrategie müsse in den nächsten Monaten erweitert werden - um synthetische Kraftstoffe und den Ausbau einer Wasserstoffinfrastruktur, damit der Verkehr weiter fließen könne. „Und wir müssen erwarten, dass die EU-Kommission nicht nur Ziele formuliert, sondern auch die Umsetzung in die Hand nimmt. Sonst nützen die Handelsabkommen nichts“, so Hildegard Müller.

Müller weiter: „In den nächsten Monaten werden die Gesetze und Verordnungen zum Green Deal ausgearbeitet. Ich hoffe, dass Deutschland hier trotz des beginnenden Wahlkampfes aktiv wird. Die Diskussionen um die Verschärfung der Klimaziele, sowohl des allgemeinen Klimaziels von 55 Prozent als auch eine mögliche Verschärfung der Flottengrenzwerte, kann nur dann sinnvoll geführt werden, wenn endlich durch die EU die zugesagte ehrliche und sorgfältige Abschätzung auch aller ökonomischen und sozialen Folgen vorliegt und wenn seitens der EU auch die notwendige Ladeinfrastruktur für E-Fahrzeuge geschaffen wird.“

Die EU-Kommission müsse auch ihren Euro-7-Vorschlag überarbeiten. „Wenn ein neues Fahrzeug auch im Winter bei Start oder beim Ziehen eines Anhängers am Berg die gleichen Grenzwerte einhalten muss wie bei Tempo 50 auf gerader Strecke, dann kommt das faktisch einem Verbot des Kolbenmotors gleich. Diese Idee zielt auf die Reduktion von Stickoxiden, sorgt aber praktisch für deutlich mehr Stickoxide und CO2, weil die alten Fahrzeuge länger im Markt bleiben werden, wenn die neuen praktisch verboten sind. Da muss noch mal neu nachgedacht werden, damit wir die Klimaziele auch wirklich gemeinsam erreichen können“, unterstreicht die VDA-Präsidentin.

Hildegard Müller weist darauf hin, dass die Standortbedingungen in Deutschland dringend verbessert werden müssten. Die Arbeitskosten und die Ertragssteuerbelastungen sind in Deutschland überdurchschnittlich hoch. Außerdem habe Deutschland – nach dem Vereinigten Königreich - die höchsten Energiekosten in ganz Europa. Das Breitband-Internet sei hierzulande schlechter als in Thailand, Rumänien, Ungarn oder Spanien. Ähnlich verbesserungsbedürftig sei die Lage beim Mobilfunk. Hinzu komme eine ausgeprägte Bürokratie und eine fehlende Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung, die Abläufe verzögere und damit auf Kosten der Produktivität gehe.

Hildegard Müller betont: „Die deutsche Automobilindustrie ist besser für die Zukunft gerüstet als der Standort Deutschland. Daher sollte die Politik die notwendigen Schritte unternehmen, um Produktion und Beschäftigung in Deutschland zu halten und zu stärken. Das große Thema des Jahres 2021 ist deshalb der Standort Deutschland und wie wir ihn wieder besser machen können.“

Der VDA erwartet für 2021 ein Wachstum des deutschen Marktes gegenüber dem Vorjahr von rund 8 Prozent auf 3,15 Mio. Pkw. Allerdings weist Hildegard Müller darauf hin, dass das Vorjahresniveau mit 2,9 Mio. Pkw (2020) sehr niedrig gewesen sei. Der Pkw-Inlandsmarkt werde 2021 weiterhin noch deutlich unter den rund 3,5 Mio. Neuzulassungen der Jahre 2017 bis 2019 liegen. Bei den schweren Nutzfahrzeugen werde ein Wachstum von 15 Prozent auf gut 78.000 Fahrzeuge erwartet.

Die Coronakrise habe sich 2020 auch auf den internationalen Märkten massiv ausgewirkt. In nahezu allen Ländern der Welt gingen die Verkäufe teils drastisch zurück. Für 2021 sei von einer langsamen Verbesserung der Marktlage auszugehen. „Die Rückgänge des Jahres 2020 werden aber nicht wettgemacht. Für eine Entwarnung gibt es daher leider keine Grundlage“, so Hildegard Müller auch mit besonderem Blick auf die Zulieferindustrie.

Der Fahrzeugabsatz in den jeweiligen Märkten wird sich - mit Ausnahme Chinas - nur langsam dem jeweiligen Vorkrisenniveau annähern. Für Europa rechnet der VDA im Jahr 2021 mit einem Plus von 12 Prozent auf 13,4 Mio. Pkw. In den USA dürfte der Absatz 2021 um 9 Prozent auf 15,8 Mio. Light Vehicles zulegen. Der chinesische Pkw-Markt wird dagegen mit 21,4 Mio. Einheiten (+8 Prozent) bereits wieder das Vor-Corona-Niveau übersteigen. Hildegard Müller: „Der Pkw-Weltmarkt dürfte damit – nach einem Einbruch um 15 Prozent im vergangenen Jahr – 2021 um 9 Prozent auf 73,9 Mio. Neuwagen zulegen. Aber auch dieses Absatzvolumen liegt damit noch deutlich unter dem Vor-Corona-Niveau.“

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