• Analyse elektronischer Komponenten mithilfe der Röntgenfluoreszenzspektroskopie

Mit der Entdeckung der Röntgenstrahlung im Jahre 1895 durch Wilhelm Conrad Röntgen1 erweiterte die moderne Wissenschaft ihren Kenntnisstand über das elektromagnetische Strahlungsspektrum im kurzwelligen Bereich. 
Darauf basierend entwickelten sich zahlreiche neue Messverfahren, die die Bandbreite an Analysemöglichkeiten signifikant erhöhten. Hierzu gehören unter anderem die Röntgendiffraktometrie2 (engl. X-Ray Diffraction, XRD), eine Methode bei der Röntgenstrahlen am Kristallgitter der Proben gebeugt werden, um beispielsweise Informationen über die kristallographischen Eigenschaften von Festkörpern zu erhalten. Die Möglichkeit einer entsprechenden Charakterisierung ist aufgrund von kleinen Wellenlängen im Bereich von ca. 0,01 nm – 10 nm gegeben, da diese den Größenordnungen der Gitterkonstanten/Abständen von Atomen entsprechen. 
Abb. 1 stellt die Einordnung der Röntgenstrahlung in das elektromagnetische Strahlungsspektrum dar. Sie verdeutlicht, dass die Wellenlängen der Röntgenstrahlen drei bis sechs Größenordnungen kleiner als die des sichtbaren Lichts sind.
Mithilfe der sogenannten Röntgenphotoelektronenspektroskopie4 (engl. X-Ray Photoelectron Spectroscopy, XPS) können aufgrund der aus den kernnahen Bindungszuständen eines Atoms erzeugten Photoelektronen Aussagen über die elementare Zusammensetzung eines Materials sowie über die chemischen Bindungsverhältnisse gemacht werden.

Die Röntgenmikroskopie5 (engl. X-Ray Microscopy, XRM) ermöglicht die Aufnahme von ultrahochauflösenden Bildern, die sich im Vergleich zur konventionellen Lichtmikroskopie u. a durch einen zusätzlichen Materialkontrast sowie ein größeres Auflösungsvermögen auszeichnen.

Viele der oben genannten Analysemethoden haben den Nachteil, dass gewisse Anforderungen sowohl an die Beschaffenheit/Eigenschaften der Proben (beispielsweise glatte, ebene Oberfläche) als auch die Messumgebung (Ultrahochvakuum etc.) gestellt werden. Zudem ist der Probendurchsatz aufgrund der meistens komplexen Handhabung sowie den langen Messzeiten oft limitiert, sodass eine Anwendung im Dienstleistungssegment oder im industriellen Maßstab nicht oder nur eingeschränkt möglich ist.

Die Röntgenfluoreszenzanalyse (RFA)6 (engl. XRF) dagegen zeichnet sich durch einfache Bedienbarkeit aus, sodass häufig ohne aufwändige Probenpräparation und mit einer hohen Wiederholpräzision die qualitative sowie quantitative Elementanalyse einer Probe möglich ist. Zudem können die Schichtdicken von dünnen Lagen innerhalb von Mehrschichtsystemen bis in den Nanometerbereich zuverlässig bestimmt werden, weswegen die RFA in zahlreichen Applikationen sowohl im Forschungsbereich als auch in der Industrie eingesetzt wird. So finden sich z. B. in der Photovoltaik-, der Schmuck- sowie der Spielzeugindustrie zahlreiche Anwendungsmöglichkeiten zur Qualitätskontrolle7,8,9. 
Im medizinischen Forschungsbereich sowie in Bezug auf biologische Materialien dient die RFA unter anderem der Spurenanalyse10,11.

Als einer der führenden Anbieter von Dienstleistungen rund um elektronische Komponenten bietet die HTV GmbH die Röntgenfluoreszenz-Methode als eine von verschiedensten Analyseverfahren an (vgl. Abb. 2). Beispiele möglicher Analysen:

  • Bestimmung der Zusammensetzung (u.a. „Bleifreiheit“) und Beschichtungsstärken auf Lötkontakten von Elektronikbauteilen, Leiterplatten aber auch mechanischen Komponenten oder Halbzeugen
  • Screening von Proben im Hinblick auf die gemäß der RoHS-Richtlinie 2011/65/EU restringierten Substanzen
    Identifizierung bzw. Bestimmung der elementaren Zusammensetzung von anorganischen Materialien wie zum Beispiel die Zusammensetzung von Legierungen
  • Lötzinnanalyse

Theoretische Grundlagen zur RFA

Trifft die in der Röntgenröhre des RFA-Gerätes erzeugte Röntgenstrahlung auf die zu untersuchende Probe, werden im Falle von geeigneten Anregungsenergien Elektronen aus den kernnahen Bindungsniveaus bestimmter Atomsorten herausgelöst (“Ionisierung“ der inneren Schalen). Abb. 3 zeigt die Wechselwirkung eines Röntgenquants mit einem Elektron aus der K-Schale. Die aufgrund der Entfernung des Elektrons entstandene Lücke wird von einem Elektron aus einem höher gelegenen Energieniveau aufgefüllt. Die beim Übergang des Elektrons frei werdende Energie wird als Energiequant der entsprechenden Fluoreszenzstrahlung emittiert. Die Energie der Fluoreszenzstrahlung hängt ausschließlich von der energetischen Differenz der am Übergang beteiligten elementspezifischen Schalen ab, weshalb diese als charakteristische Röntgenstrahlung bezeichnet wird, da jedes Element eindeutige Energielinien aufweist. Wird beispielsweise der unbesetzte Zustand in der K-Schale mit einem Elektron aus der L-Schale gefüllt, so liegt ein Kα-Übergang vor. Im gemessenen Röntgenemissionsspektrum liegen die Übergänge als Signale vor, deren Intensitäten unter anderem von den Übergangswahrscheinlichkeiten der entsprechenden Elektronenübergänge abhängen.


Abb. 3: Schematische Darstellung zur Entstehung der Röntgenfluoreszenzstrahlung. Ein Röntgenquant der anregenden Röntgenstrahlen (rot) entfernt ein Elektron aus der inneren K-Schale. Der entstandene unbesetzte Zustand (Lücke) wird von einem Elektron aus einer energetisch höher gelegenen Schale aufgefüllt. Die Energie der emittierten Fluoreszenzstrahlung hängt nur von den am Elektronenübergang beteiligten Energieniveaus ab (charakteristische Röntgenstrahlung, hier Kα oder Kβ).

Die RFA in der Praxis

Im Folgenden werden zwei RFA-Messbeispiele an Elektronikprodukten präsentiert und diskutiert. Hierbei handelt es sich zum einen um die Vermessung der Schichtdicken von Steckkontakten einer PC-Karte, deren Endoberfläche aus chemisch Nickel Gold besteht (engl. Electroless Nickel Immersion Gold, ENIG). ENIG-Endoberflächen finden aufgrund ihrer guten Eigenschaften als lötfähige metallische Oberflächen eine breit gefächerte Anwendung in der Leiterplattenfertigung.
Mithilfe der Röntgenfluoreszenzanalyse können dank quantitativer Messungen beispielsweise genaue Aussagen zum Phosphorgehalt in der Nickel-Phosphor-Zwischenschicht (NiP) und damit zur Haftfähigkeit der Passivierungsschicht aus Gold (Au) auf NiP gemacht werden. Zudem eignet sich die Schichtdickenanalyse mittels RFA zur Verifizierung der empfohlenen Schichtdickenwerte der einzelnen metallischen Lagen einer zuverlässig weiterverarbeitbaren ENIG-Leiterplatte. Diesbezüglich werden bei der HTV z. B. auch Fehleranalysen im Hinblick auf Haftungsschwächen von elektronischen Bauteilen auf Leiterplatten durchgeführt.
Bei der zweiten untersuchten Probe handelt es sich um einen in Durchsteckmontage-technologie (engl. Through Hole Technology - THT) ausgeführten koaxialen Steckverbinder, der als Schnittstelle für Hochfrequenzanwendungen auf Leiterplatten verarbeitet wird. Dabei basiert die durchgeführte Schichtdickenbestimmung auf der Fundamental-Parameter-Methode6, die präzise Messergebnisse auch ohne eine vorhergehende Kalibrierung liefert.
Zur Sicherstellung der Rückführbarkeit der Messergebnisse, kann zusätzlich vor den Messungen der eigentlichen Proben eine Vergleichsmessung an einem Kalibrierstandard durchgeführt werden12. Verschiedene Kollimatoren zur Fokussierung der generierten Röntgenstrahlung können dazu verwendet werden, eine Untersuchung von Messbereichen unterschiedlicher Größen durchzuführen. Zur Ermittlung der Analyseresultate dient ein kleiner Schlitzkollimator, der sich im Hinblick auf Messungen an runden Werkstücken oder Fine-Pitch-Lötflächen als sehr vorteilhaft erweist.

Messbeispiel 1: Steckkontakte PC-Karte

Abb. 4 zeigt das Röntgenemissionsspektrum der Steckkontakte einer PC-Karte. 
Absichtlich sind exemplarisch nur die prominentesten charakteristischen Röntgenemissionsintensitäten der entsprechenden Elemente gekennzeichnet.
Wie erwartet lässt sich im Hinblick auf die qualitative Analyse das Vorhandensein der Elemente Gold (Au), Nickel (Ni) sowie Kupfer (Cu) nachweisen, was auf den ENIG-Lagenaufbau Gold (Au) / Nickel-Phosphor (NiP) / Kupfer (Cu) schließen lässt.


Abb. 4: Röntgenemissionsspektrum zur Elementanalyse von Steckkontakten einer PC-Karte
Die Schichtdickenbestimmung erfolgt unter Verwendung eines theoretischen Modellsystems, in dem das Kupfersubstrat als unendlich dickes Volumenmaterial (Grundwerkstoff) angenommen wird.

Im Hinblick auf die Rückführbarkeit der Messergebnisse sind in Tabelle 1 die Resultate der Schichtdickenmessung an einer Au/NiP10/Cu - Kalibrierprobe von Fischer inklusive den angegebenen Referenzwerten für die Schichtdicken der einzelnen Lagen durchgeführt. Aus der Tabelle lässt sich erkennen, dass die Referenzwerte sehr gut mit den gemessenen Durchschnittswerten übereinstimmen.

Die Steckkontakte, an welchen die eigentlichen Messungen durchgeführt wurden, sind von eins bis fünf durchnummeriert (vgl. Abb. 5). Pro Steckkontakt werden exemplarisch vier Messpositionen (rot) ausgewählt und pro Messposition ein Röntgenemissionsspektrum bei einer Integrationszeit von 15 Sekunden erstellt. Zur Sicherstellung einer umfangreichen Messstatistik wird in der Software eine Messroutine programmiert, in der die einzelnen Messpositionen der fünf Kontakte nacheinander angefahren werden. Diese Schleife, bestehend aus 20 Einzelmessungen, wird insgesamt fünfmal durchlaufen.

Die in Tabelle 2 aufgeführten Analyseresultate zeigen sowohl für Gold (Au) als auch Nickel-Phosphor anwendungstypische Werte für ENIG-Endoberflächen.

Abb. 5: Übersichtsbereich Steckkontakte mit Messbereichen eins bis fünf (gelb). Exemplarische Darstellung der Messpositionen in einem Kontaktbereich (rot).

Koaxialer Steckverbinder

Im Folgenden werden die Analyseresultate der zweiten Messprobe, einem koaxialen Steckverbinder (siehe Abb. 6), dargestellt. Aus der Beschaffungsdokumentation kann im Hinblick auf die materielle Zusammensetzung des Gehäuses (vgl. exemplarisch grün markierte Bereiche aus Abb. 6) der Lagenaufbau Gold (Au) / Nickel (Ni) / Volumen-Messing (CuZn) mit einer Mindestdicke von 0,076 µm für Gold (Au) und 2,540 µm für Nickel (Ni) entnommen werden. Der zentrale Anschlusskontakt (vgl. exemplarisch rot markierter Bereich in Abb. 6) besteht aus Gold (Au) / Nickel (Ni) / Volumen-Kupferberyllium (CuBe) mit einer Mindestdicke von 0,762  µm für Gold (Au) und 2,540 µm für Nickel (Ni).
Im Fokus der im Folgenden präsentierten Untersuchungen steht die Überprüfung der im Datenblatt angegebenen Mindestwerte für die Schichtdicken. In Analogie zur Messung an den Steckkontakten der PC-Karte, werden Vergleichsmessungen an Kalibrierproben bekannter Schichtdicken durchgeführt. Dabei handelt es sich einerseits um eine Goldfolie mit einer Schichtdicke von 0,051 µm sowie einer 1,29 µm dicken Nickel-Schicht auf Kupfer-Volumenmaterial.
Aus Tabelle 3 lässt sich eine sehr gute Übereinstimmung der ermittelten Werte mit den Referenzwerten ableiten.

Abb. 6: Übersicht koaxialer Steckverbinder mit Bereichen des Gehäuses (grün) sowie zentralem Anschlusskontakt (rot)

Der am Gehäuse ermittelte Durchschnittswert für Gold (Au) liegt mit 0,043 µm unterhalb des spezifizierten Mindestwertes von 0,076 µm. Der gemessene Durchschnittswert für Nickel (Ni) in Höhe von 3,736 µm ist dagegen konform mit den Angaben aus der Beschaffungsdokumentation. Im Hinblick auf die Analyse des Steckerbereiches (vgl. Abb. 8 und Tabelle 5) zeigt sich für die entsprechenden Elemente ein ähnlicher Trend. Beim zentralen Anschlusskontakt aus Abb. 9 liegen sämtliche ermittelten Werte unterhalb der im Datenblatt angegebenen Mindestschichtdicken. Somit sind die RFA-Analyseresultate am koaxialen Steckverbinder allgemein als auffällig zu bewerten.

Zur Verifizierung der mittels RFA erhaltenen Messwerte können beispielsweise weiterführende Untersuchungen an Schliffproben mit dem Rasterelektronenmikroskop durchgeführt werden.

Tabelle 4: Resultate zur Schichtdickenmessung am Gehäusepin (vgl. grün markierter Bereich in Abb. 6)


Abb. 7: Gehäusepin

Table 5: Resultate zur Schichtdickenmessung am Stecker (vgl. grün markierter Bereich in Abb. 6)


Abb. 8: Stecker

Table 6: Resultate zur Schichtdickenmessung am zentralen Anschlusskontakt (vgl. grün markierter Bereich in Abb. 6)


Abb.9: Zentraler Anschlusskontakt

Fazit:

Aufgeführte Messbeispiele zeigen, wie mittels der Röntgenfluoreszenzanalyse verschiedenste Proben qualitativ und quantitativ untersucht werden können. Ein wichtiger Aspekt ist hierbei, dass die Proben zerstörungsfrei und häufig ohne aufwändige Probenpräparation analysiert werden können. Die Röntgenfluoreszenz-Analyse ermöglicht somit in Anlehnung an diverse Normen (u.a. DIN EN ISO 3497, ASTM B 568, DIN EN/IEC 62321) eine schnelle und effektive Qualifikation oder auch serienbegleitende Qualitätskontrolle von Beschichtungen. Auch die Identifizierung von Verunreinigungen (beispielsweise auf Baugruppen) ist möglich.

Literaturverzeichnis:

1) 100 Jahre Röntgenstrahlen. Erster Nobelpreis für Physik, Ch. R. Friedrich, Materialwissenschaft und Werkstofftechnik, Band 26, Nr. 11–12, S. 598–607 (1995)

2) Surface X-ray diffraction, I. K. Robinson and D. J. Tweet, Rep. Prog. in Phys. 55, 599-651 (1992)

3) www.wikipedia.de, © Horst Frank / Phrood / Anony

4) X-ray photoelectron spectroscopy, J.F. Watts, Surface Science Techniques, Pergamon (1994)

5) X-ray microscopy, V. E. Cosslett and W.C. Nixon, Cambridge. Eng. University Press (1960)

6) Röntgenfluoreszenzanalyse – Anwendung in Betriebslaboratorien, H. Ehrhardt, Springer-Verlag (1989)

7) New world record efficiency for Cu(In,Ga)Se2 thin-film solar cells beyond 20%, P. Jackson et al., Progress in Photovoltaics (2011)

8) XRF analysis of jewelry using fully standardless fundamental parameter approach, P. Jalas et al., Gold Technology No 35 (2002)

9) Toxic Chemicals in Toys and Children’s Products: Limitations of Current Responses and Recommendations for Government and Industry, M. Becker et al., Environmental Science and Technology 44 (21), pp 7986–7991 (2010)

10) Application of X-ray fluorescence techniques for the determination of hazardous and essential trace elements in environmental and biological materials, S.A. Bamford et al., NUKLEONIKA 49(3):87-95 (2004)

11) Medical Applications of X-ray Fluorescence for Trace Element Research, J. Börjesson and S. Mattsson, JCPDS-International Centre for Diffraction Data 2007 ISSN 1097-0002

12) www.helmut-fischer.de

Autor:
 Dipl.-Ing. Dr. rer. nat. Massimo Morresi

HTV Halbleiter-Test & Vertriebs-GmbH

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